Welche Eindrücke von damals haben sich besonders in euer Gedächtnis eingebrannt?
Dennis Bracht:
Ich fuhr in meinem Einsatzfahrzeug auf der A 1 in Richtung Burscheid und das Wasser stieg auch hier auf der Fahrbahn so wahnsinnig schnell an, sodass ein vor mir fahrender PKW absoff und ausging. Ich habe dann auch angehalten und den Fahrer aus seinem Fahrzeug geholt und mitgenommen. Aber wir standen beide erstmal barfuß auf der A1 und bis zu den Knien im Wasser. Diese Szene war einfach surreal, wenn man bedenkt, dass man an dieser Stelle sonst mit 100 km/h durchfährt, ohne großartig einen Gedanken zu verlieren.
Dominik Hohnbaum:
In meinem Kopf kreist immer wieder eine bestimmte Szene, als wir mit unserer Einheit am Wöllner-Stift, einem Altenheim in Rösrath angekommen waren. Das liegt in der Nähe der Sülz und dessen Bewohner sollten wir evakuieren. Wir warteten vor einer kleinen Brücke am gegenüberliegenden Ufer auf weitere Einsatzkräfte, bevor die Evakuierung losgehen sollte. Und ich beobachtete, wie das Wasser schon so hochstand, dass es die Brücke umspülte. Als Einheitsführer musste ich die Gefahr bewerten und schnell eine Entscheidung treffen, ob die Brücke passierbar war oder nicht. Zum Glück bemerkte ich dann eine Straße in einiger Entfernung, die weg vom Fluss führte. Das hatte dann meine kurzen Bedenken wieder zerstreut.
Was genau war eure Rolle beim Einsatz vor einem Jahr?
Bracht:
Anfänglich haben wir gemeinsam mit dem Führungsteam geplant, wie wir die Rettungsfahrzeuge und die vorhandenen Einsatzkräfte koordinieren und welches Material wir benötigen. Dann habe ich mich in einen RTW gesetzt und bin von der Wache Burscheid aus zu den Einsätzen gefahren, und das waren sehr viele und wegen der langen Anfahrten – viele Straßen waren unpassierbar geworden – teilweise extrem schwierige Aktionen. Irgendwann kam ich dann nach Leichlingen, wo ich einen Bereitstellungsraum für Flutopfer betreut und nachrückende Kräfte am Einsatzort eingewiesen habe. Das war mein 14. Juli. Am folgenden Tag ging es dann weiter nach Rösrath, wo ich dann bei der Räumung des Wöllner-Stifts dabei war. Hier haben wir zwischen 60 und 70 pflegebedürftige Leute mit bloßen Händen gerettet.
Hohnbaum:
Bei der besagten Evakuierung in Rösrath war ich als Einheitsführer unserer Einsatzeinheit aktiv. Das Problem war der totale Zusammenbruch der Versorgung des Hauses als Folge der Flut. Es gab kein Trinkwasser mehr und auch keinen Strom. Der Aufzug funktionierte natürlich nicht mehr und das Erdgeschoss stand bei unserem Eintreffen schon einen guten Meter unter Wasser. Uns blieb nichts Anderes übrig als die Menschen teilweise aus dem dritten Stock über eine Außentreppe ins Trockene zu bringen, die meisten davon auf ihren Matratzen. Das haben wir gemeinsam mit dem Pflegepersonal, der Feuerwehr und einigen Polizeiangehörigen der örtlichen Wache dann geschafft. Das klingt auf den ersten Blick viel, aber wir waren hoffnungslos unterbesetzt, weil alle Einsatzkräfte pausenlos an vielen Orten im Einsatz waren. Die Aktion dauert letztlich über fünf Stunden. Bei einem „normalen“ Einsatz hätten wir so etwas mit viel mehr Leuten und in deutlich kürzerer Zeit erledigt.
Wie bewertet Ihr rückblickend dieses Ereignis?
Bracht:
Wege waren komplett überspült und Straßen durch umgestürzte Bäume blockiert. Wir waren von unserem Fuhrpark her nicht darauf eingestellt, da wir nicht wirklich Fahrzeuge haben, auch nicht auf Landes- oder Bundesebene, die durch hohes Wasser fahren können. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass es vorher nie ein Thema war, überhaupt im Katastrophenschutz technisch auf so etwas ausgerichtet sein zu müssen. Dafür gibt es ja eigentlich das THW oder die Feuerwehr. Aber wir waren auf uns alleine gestellt. Das wahre Ausmaß der Katastrophe zeichnete sich nur kleckerweise ab. Dadurch waren Einschätzungen schwierig und immer nur vorläufig, sodass wir keine große Planungsstruktur aufbauen konnten.
Hohnbaum:
Dem kann ich nur zustimmen. Insbesondere Unterstützung durch die Feuerwehr war schon früh nicht mehr gegeben. Das Auf-Sich-Selbst-Gestellt-Sein ist also etwas, worauf wir uns als Arbeiter-Samariter-Bund noch gezielter vorbereiten müssen, wenn wir in die nächsten Katastropheneinsätze gehen. Ein weiterer Punkt ist, dass wir zweifellos in der Gefahrenabwehr tätig sind. Das heißt, jeder, der bei uns mitmacht, muss sich über eines im Klaren sein: Wir proben zwar intensiv viele Schutzmaßnahmen, aber wir sind nun mal echten Gefahren im Einsatz ausgesetzt und nicht alles kann vorab geplant werden.
Gibt es etwas, dass Ihr aufgrund der gemachten Erfahrungen nun mehr in Euren Übungen trainiert?
Hohnbaum:
Sicherlich werden wir das Thema Gefahrenlehre vertiefen. Ganz praktisch heißt das zum Beispiel, dass man alleine unterwegs sein muss, ohne technische Hilfsmittel wie Smartphone oder Digitalfunk zu nutzen, um sich im Einsatzgebiet zu orientieren. Google funktioniert bis zu einem gewissen Grad, aber wenn Straßen massenhaft überflutet oder blockiert werden, brauche ich Ortskenntnisse und Kartenmaterial, damit ich mich zurechtfinde. Und das Wissen, wie ich damit umgehe, um von A nach B zu kommen. Wir lassen dafür unsere Leute kreuz und quer durch das Kreisgebiet fahren und sagen irgendwann einmal: „Handys aus und Ihr fahrt jetzt nach X über Y. Und der gewohnte Weg, den Ihr gerade vorhabt zurückzufahren, ist übrigens blockiert. Ihr müsst ganz woanders lang fahren und habt nur eine gewisse Zeitspanne, um ans Ziel zu kommen.“
Es gab vereinzelt Kritik an der Arbeit des Katastrophenschutz nach der Flutkatastrophe. Könnt Ihr das nachvollziehen?
Bracht:
Die Stärke unseres Katastrophenschutzes liegt grundsätzlich in seiner Dezentralität, gerade darin, dass man vor Ort die Maßnahmen abstimmt, und nicht erst in Berlin nachfragen muss, ob man ins Nachbardorf fahren darf. Wir können sofort reagieren, bevor auch eine Landesregierung erstmal einen Plan entwickelt. Darum waren wir an so vielen Plätzen zum Helfen, wie nur ging. Was ausgebliebene Warnungen betrifft, kann ich die Kritik jedoch nachvollziehen. Weil ich im Einsatz war und ständig Radio gehört habe, gehörte ich noch zu den Gutinformieren. Aber es wurde kein flächendeckender Sirenenalarm ausgelöst. Das hat viele Menschen in Gefahr gebracht und einigen das Leben gekostet. Diese Klarheit, wir stecken jetzt tief drin in einer Katastrophe, die fehlte auf vielen Ebenen. Da muss man auch besser werden. In den ersten Stunden war alles lokal begrenzt, sodass auch keine übergeordneten Krisenstäbe eingerichtet wurden und koordinierten. Es war dann relativ zufällig, dass man irgendwo hingefahren ist, wo jemand Hilfe brauchte.
Hohnbaum:
Wenn ich den gesamten Einsatz bewerte, erscheint der Kritikpunkt „Fehlende Geschwindigkeit“ nicht unberechtigt. Als Einsatzleitung ist man immer darauf angewiesen, dass ausreichende Rückmeldungen von unten kommen, um ein stimmiges Lagebild zu ermitteln. Und wenn man die nicht hat, geht das auch nicht seriös und viele Entscheidungen verzögern sich oder fallen ganz aus. Aber das ist alles unglaublich komplex und ich habe auch kein Patentrezept in der Schublade, wie man es hätte besser machen können. Kritik an der Organisation des Katastrophenschutzes finde ich in manchen Punkten durchaus zulässig, aber nicht an den Einsatzkräften, die vor Ort gearbeitet haben, denn diese haben alles gegeben. Und wenn ich nicht in den Einsatz gerufen werde als Einheit oder Einzelner, obwohl ich bereit gewesen wäre, dann ist das nicht das Verschulden der Einsatzkräfte, sondern ein Ausfall auf anderen Ebenen.
Was konkret kann der ASB verbessern?
Hohnbaum:
Gerade in den Situationen, wie wir sie hatten, brauchen wir nicht nur speziell ausgebildete Katastrophenschutzkräfte. Wenn es um die Logistik und die Technik geht, sind wir gut aufgestellt, aber wenn es um die Versorgung von Pflegebedürftigen geht, müssen darüber nachdenken, ob und wie wir unser eigenes Potenzial künftig aktivieren und einbinden. Zudem sollten wir uns als ASB auf allen Ebenen fragen, wie wir selbst in Krisen aufgestellt sind. Das heißt, wie können wir unseren eigenen Betrieb aufrechterhalten, zum Beispiel, wenn unsere Einrichtungen überflutet werden oder es zu Stromausfällen kommt.
Bracht:
Die Flut hat uns aufgezeigt, wir müssen wir unsere Ausrüstung so anpassen, dass wir Einsatzziele auch ohne fremde Hilfe erreichen können. Wenn eine Situation wieder einmal so ist, dass wir auf uns gestellt sind, müssen wir darauf vorbereitet sein, über längere Strecken alleine zu arbeiten. Dazu muss auch das Material da sein, denn von der Manpower her sind wir schon gut aufgestellt. Was ich noch erwähnen möchte: Ich bin allen Einsatzkräfte, die dabei waren, unfassbar dankbar. Sie sind losgefahren ins Blaue hinein, ohne genau zu wissen, was sie erwartet. Da war eine Haltung zu spüren nach dem Motto: „Ja, ich bin im Katastrophenschutz, mache mich jetzt auf den Weg zum Helfen und gehe erst nach Hause, wenn der Job hier erledigt ist“. Ich habe unfassbare Disziplin und Engagement erlebt und ich bin total froh, dass wir alle wieder heil zurückgekommen sind und alle aufeinander aufgepasst haben.